Essstörungen, Depressionen & Co. bei Kindern und Jugendlichen: Häufiger als man denkt!

Früher noch ein vermeintliches Ausnahmephänomen, heute – laut WHO – das zweithäufigste Volksleiden: Psychische Erkrankungen. Werden die Anzeichen nicht frühzeitig erkannt und behandelt, können Störungen der Psyche langfristig tiefgreifende mentale, körperliche und soziale Schäden nach sich ziehen.

Auch Kinder und Jugendliche bleiben nicht verschont: Über ein Viertel aller bis 17-Jährigen in Deutschland hat mit einer krankhaften Beeinträchtigung der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens oder Verhaltens zu kämpfen. Damit belegen psychische Krankheiten hierzulande Platz 3 unter den häufigsten Erkrankungsarten junger Menschen. Wenn Sie also bei Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn das Gefühl haben, dass eine geistige Störung der Grund für auffällige Verhaltensweisen sein könnte, ist das zumindest statistisch leider nicht völlig abwegig.

Aber ab wann ist ein bestimmtes Verhalten eigentlich nicht mehr der regulären Entwicklung zuzuschreiben? Wann wird es womöglich sogar gefährlich? Wir informieren Sie nicht nur über die Symptome, die Anzeichen für eine psychische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen sein könnten. Wir geben auch Tipps, wie Sie als Eltern helfen können.

Normale Pubertät – oder Symptome einer ernsthaften Störung?

Laufen lernen, Einschulung, erste Liebe – jeder Schritt im Leben eines oder einer Heranwachsenden bedeutet eine neue Hürde. Während einige mit Leichtigkeit darüber hüpfen, tun sich andere schwer. Oft zeigt sich das in Verhaltensweisen, die für das Mädchen oder den Jungen bis dato untypisch sind. Das Problem: Für Eltern ist  oft schwer zu beurteilen, ob die Verhaltensänderung normal ist. Oder ob vielleicht mehr dahintersteckt. Denn tatsächlich ähneln viele Symptome psychischer Erkrankungen den Merkmalen der gewöhnlichen Kindesentwicklung.

Aufmerksamkeit ist daher immer dann geboten, wenn problematische Verhaltensweisen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind, ungewöhnlich lange andauern oder die Ursache nicht ersichtlich ist. Suchen Sie dann das Gespräch mit Ihrem Kind - und am besten auch mit einem Arzt oder einer Ärztin. Notieren Sie schon vor dem Gespräch alle Auffälligkeiten und festgestellten Unterschiede im Verhalten. Dadurch verschaffen Sie sich und der ärztlichen oder psychologischen Fachperson bei der Erstbeurteilung ein besseres Bild über die Situation.

Häufige Diagnosen, Ursachen und Therapien bei psychischen Problemen von Kindern und Jugendlichen

Wie gesagt: Nicht alles, was einem als Elternteil beim eigenen Nachwuchs merkwürdig, auffällig oder irgendwie bedenklich vorkommt, hat auch gleich eine pathologische Ursache und ist damit ein fall für die Jugendpsychiatrie. Ganz im Gegenteil. Schließlich müssen sich gerade Kinder und Jugendliche austesten und zu ihrer eigenen Persönlichkeit finden. Trotzdem gibt es Anzeichen häufiger(er) psychischer Problemstellungen im Jugendalter, von denen Eltern zumindest einmal gehört haben sollten.

Depression: Mehr als „traurig sein“

Depression ist Traurigkeit – oftmals ist das der erste Gedanke, wenn es um diese Erkrankung geht. Doch eine Depression kann nicht nur darauf reduziert werden. Die Symptome sind unzählig und vielfältig, die Krankheit weit verbreitet. Und auch Kinder finden sich unter den Betroffenen.

Weil diese ihr Innenleben selbst noch nicht ganz begreifen und somit auch schlecht ausdrücken können, spiegelt sich die Störung bei ihnen häufig im Alltagsverhalten wider. Bei Kleinkindern bis zu drei Jahren können Warnsignale daher so aussehen. Müssen es aber natürlich nicht:

  • Schlafprobleme
  • Häufiges Weinen und Schreien
  • Extreme Anhänglichkeit
  • Exzessives Daumenlutschen
  • Desinteresse anstatt Neugierde und Aufgewecktheit

Bei älteren Kindern und Jugendlichen sind die Symptome einer Depression meist deutlich ausgeprägter und (können) umfassen:

  • Schlafstörungen
  • Körperliche Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen
  • In-sich-versunkene Haltung
  • Verminderte Gestik und Mimik
  • Auffällige Gewichtsveränderungen
  • Konzentrationsschwierigkeiten und Leistungsnachlass
  • Versagens- und Zukunftsängste
  • Vermindertes Selbstwertgefühl und -vertrauen
  • Starke Schuldgefühle
  • Reizbarkeit und Antriebslosigkeit
  • Sozialer Rückzug
  • Vernachlässigung von Hobbies und Pflichten

Angststörungen: Wenn Furcht beginnt zu lähmen

Jedes zehnte Kind leidet im Laufe seiner Entwicklung zum Erwachsenen unter einer Angststörung. Wenn die Angst zur Panik wird, weil sie unverhältnismäßig stark oder häufig auftritt, kann sie die Betroffenen im Alltag stark einschränken. Manchmal an bestimmte Situationen oder Dinge gebunden, manchmal komplett vom Konkreten losgelöst, kann eine Angststörung in vielen Formen auftreten: Trennungsangst, soziale Angst, Phobie oder Panikstörung sind nur einige Beispiele.

Außenstehende können Angststörungen oft nicht leicht erkennen, viele körperliche Symptome zeigen sich eher unterschwellig:

  • Starkes Schwitzen
  • Errötung
  • Zittern
  • Übelkeit
  • Bauch- oder Kopfschmerzen
  • Schnelles Atmen oder Kurzatmigkeit
  • Häufige Toilettenbesuche aufgrund von vermehrtem Harndrang oder Durchfall
  • Immer wiederkehrende sorgenvolle Gedanken während oder bereits vor bestimmten Situationen
     

Essstörungen: Wenn Wiegen und Hungern zur Obsession werden

Immer häufiger wird ein gestörter Umgang mit Essen sowie ein krankhaftes Verhältnis zum eigenen Körper bereits bei 12-Jährigen festgestellt. Für einen starken und plötzlichen Gewichtsverlust können Magersucht, Bulimie oder Binge-Eating die Ursache sein. Ist die physische Veränderung ersichtlich, hat Ihr Kind aber vermutlich schon länger mit der psychischen Krankheit zu kämpfen. Achten sie daher besser auf folgende Verhaltensweisen, die schon früher auf eine Essstörung hindeuten können:

  • Ungewöhnlich häufiges Wiegen
  • Meiden von Essen und Esssituationen
  • Einnahme von Medikamenten wie Appetitzügler oder Abführmittel
  • Übermäßige Beschäftigung mit Ernährung
  • Nach Mahlzeiten regelmäßige und längere Aufenthalte auf der Toilette, welche auf selbstherbeigeführtes Erbrechen hindeuten
     

Autismus: Oft schon im frühen Kindesalter erkennbar

Mögliche Symptome, die für eine autistische Störung sprechen, sind bei einigen Menschen bereits in einem Alter von ein bis drei Jahren bemerkbar. Aufmerksamkeit ist insbesondere bei diesen Auffälligkeiten geboten:

  • Keine Reaktion auf den eigenen Namen oder bekannte Stimmen
  • Kein “Baby-Talk“
  • Fehlende Hin und Her-Gesten wie Zeigen oder Greifen

Bei älteren Kindern oder Jugendlichen werden die Anzeichen, die für Autismus sprechen, klarer:

  •  Außergewöhnlicher Sprachstil
  • Abnormale Körperhaltung
  • Sich immer wiederholende Bewegungen wie etwa “Headbangen”
  • Auffallend aggressives (oder im Gegenteil allzu ängstliches) Verhalten
  • Vermeiden von Blick- und Körperkontakt, Mimik oder Gestik
  • Schwierigkeiten beim Verständnis einfacher Fragen, Anweisungen und Ironie
  • Häufige Wiederholung von Wörtern und Sätzen
  • Spricht von sich selbst in der dritten Person
  • Überempfindlichkeit
  • Starre Routine und Anpassungsschwierigkeiten
  • Zwanghafte Ordnungsprinzipien
  • Ausgeprägte Sonderinteressen
  • Probleme, eigene Gefühle zu verstehen und auszudrücken
  • Fehlende Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und subtile nonverbale Hinweise zu interpretieren
  • Distanziertheit und fehlendes Interesse am Spielen
  • Probleme, Gespräche aufrechtzuerhalten
  • Große Mühe, soziale Kontakte aufzubauen

ADHS: Das „Zappelphilipp-Syndrom“

Konzentrationsschwierigkeiten, Impulsivität und motorische Unruhe im Dauerzustand: Das sind drei Hauptsymptome der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. ADHS erkennen Sie an einer starken körperlichen oder auch inneren Unruhe Ihres Kleinkindes oder Teenies, die häufig ganz bestimmte Symptome (meist gleich im "Bündel") mit sich bringt:

  • Konzentrationsschwächen
  • Vergesslichkeit
  • Ungeschick
  • Ungeduld und Impulsivität
  • Probleme, größere Aufgaben gut zu strukturieren und Sachen zu Ende zu bringen
  • Schwierigkeiten, die eigene Stimmung zu regulieren
  • Ablehnung und Nichteinhaltung von Grenzen oder Regeln
  • Lese-, Rechtschreib- oder Rechenschwäche

Risikofaktoren für psychische Erkrankungen

Nicht immer sind psychische Störungen auf eine bestimmte Ursache zurückzuführen. Trotzdem gibt es gewisse biologische, psychologische oder psychosoziale Faktoren, die das Risiko erhöhen. Allen voran: Die Krankheit ist in der Familie schon (öfters) aufgetreten, ist also womöglich sogar genetisch angelegt. Doch auch körperliche Beschwerden oder Nebenwirkungen von Medikamenten können mögliche Auslöser einer krankhaften Psyche sein.

In anderen Fällen führen erst besonders belastende Erlebnisse zur Erkrankung, beispielsweise Mobbingsituationen, die Scheidung der Eltern, Umzug, Leistungsdruck oder Missbrauch.

Goldene Regel: Ein Verdacht ist noch keine Diagnose!

Wenn Sie den Verdacht haben, dass Ihr Kind an einer psychischen Krankheit leidet, sollten Sie je nach Alter zunächst das persönliche Gespräch suchen oder (je kleiner das Kind) direkt den Kontakt zu einer Fachstelle s herstellen. Keinesfalls sollten Sie Ihren Sohn oder Ihre Tochter zwischen Tür und Angel oder gar im Streit eines psychischen Problems bezichtigen. Nehmen Sie sich stattdessen Zeit und wählen Sie für das Gespräch einen Ort, an dem sich Ihr Kind besonders wohl fühlt. Erklären Sie ihm unter vier Augen, dass Sie seit geraumer Zeit Verhaltensänderungen bemerkt haben und gerne – gegebenenfalls auch gemeinsam mit einer Medizinerin oder einem Therapeuten – darüber sprechen möchten.

Wichtig ist dabei vor allem eines: Stellen Sie keine eigenen Diagnosen und werten Sie Ihr Kind für sein Verhalten nicht ab. Schuldzuweisungen wie “Du siehst alles immer viel zu schwarz!“, Beschönigungen wie “Das geht schon wieder vorbei!“ oder sonstige Floskeln und Redewendungen – obgleich gut gemeint – sind ebenfalls unangebracht und wenig hilfreich. Denn so fühlen sich von psychischen Erkrankungen betroffene Personen in ihren Sorgen nicht ernst genommen. Eine psychische Krankheit ist schließlich keine Frage des Willens. Setzen Sie Ihr Kind nicht unter Druck, alles zu erzählen. Haben Sie stattdessen Verständnis und Geduld, wenn es ihm schwer fällt, sich in seinen Sorgen und Schwierigkeiten auszudrücken. Psychisch Kranke benötigen für manche Dinge etwas mehr Zeit und Mut als gesunde Menschen.

Hilfe bei der Behandlungs- und Therapeutensuche: Wohin, wenn es keine Plätze gibt?

Viele Hilfesuchende und wenige freie Plätze: Die Suche nach einem Therapeuten oder einer Therapeutin scheint leider bisweilen ebenso mühsam wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Auf eine lange Warteliste gesetzt oder mit einem höflichen „Es tut mir leid!“ abgewiesen zu werden, ist vor allem seit Beginn der Corona-Pandemie nicht unüblich. Also wohin dann?

Die erste Anlaufstelle sollten grundsätzlich der Kinderarzt oder die Kinderärztin sein. Sie können eine Einschätzung des Verdachts vornehmen, ihn entkräften oder zur Heilung beitragen. Denn Symptome einer psychischen Störung können wie gesagt auch körperliche Ursachen haben. Von Ihrem Haus- oder Kinderarzt bekommen Sie für Ihren Sohn oder Ihre Tochter im Fall der Fälle dann auch eine Überweisung zur Psychotherapie. Die Kosten für die dortige Behandlung übernimmt bei Experten und Expertinnen mit Kassenzulassung in vollem Umfang die Krankenkasse (GKV) - und meist auch die Private Krankenversicherung (PKV).

So läuft eine Therapie (nicht nur bei Kindern und Jugendlichen) ab

Vor jeder Therapie findet ein Erst- bzw. Diagnostik-Gespräch mit den jugendlichen Patienten statt. Dabei geht es um eine erste Annäherung an eine mögliche Diagnose. Außerdem bekommen Sie Informationen dazu, ob eine Therapie überhaupt der richtige Weg ist und helfen kann. Und wenn ja, welche Therapieform sinnvoll ist.

Übrigens: Als kurzfristige Alternative zur Therapie vor Ort bieten sich Online-Beratungen wie JugendNotmail an. Eltern-, Kinder- und Jugendberatungsstellen oder Schulpsychologen und -psychologinnen sind ebenfalls gute Ansprechpartner, wenn zunächst kein Therapieplatz ergattert werden kann. 

Gut zu wissen: Hilfe beim Terminfinden!

Unser Tipp: Die Terminservicestelle Psychotherapie unterstützt Sie dabei, dafür so schnell wie möglich einen Termin bei einem entsprechenden Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin zu vereinbaren.

Vergessen Sie nicht Ihre eigene Gesundheit!

Eltern psychisch kranker Kinder und auch solche, die “nur” mit den Eigenheiten des Nachwuchses an ihre Grenzen kommen, sollten sich bewusst machen: Sie leiden mit Ihrem Sprössling mit. Kümmern Sie sich nicht gut um sich selbst, können Sie auch Ihr Kind nicht richtig unterstützen.

Akzeptieren Sie also Ihre eigenen Belastungsgrenzen und suchen Sie sich selbst Hilfe, wenn es nötig ist. Sie sind nicht allein. Ein breites Angebot an Hilfeleistungen entlastet bei Problemen und offenen Fragen, unter anderem über Telefonseelsorge-Hotlines, Online-Foren oder Selbsthilfegruppen.